2. Februar 2017: Die letzte Stahlwerk-Sendung mit Jakob Kranz um 20 Uhr
Der öffentlich-rechtliche Jugendsender Radio Fritz, produziert unter dem Schirm des Rundfunks Berlin-Brandenburg (rbb), verkündet am 1. Februar 2017, dass es eine Änderung geben werde: Das Sendungsformat Stahlwerk, eine langjährige Heimat für Metal-Bands aller Genres aus der Region und internationalem Terrain, verschiebe sich. Und nicht nur das: Die Sendung Stahlwerk würde in die Formate Stahlwerk Rock mit dem Moderatoren Jan Schwarzkamp auf dem alten Sendeplatz am Donnerstagabend und dem Stahlwerk Metal mit dem bisherigen Moderatoren Jakob Kranz geteilt.
Letzterer bekomme in der Sendereihe Nightflight nachts von 0 bis 2 Uhr die Gelegenheit, das Stahlwerk-Konzept fortzuführen. Und so kommt es dann auch.
Zur Erinnerung: Bereits etwa zehn Jahre zuvor wurde Stahlwerk von dem Platz am Sonntagabend auf den Donnerstag verschoben. Doch Jakob Kranz schaffte es, die Hörerinnen und Hörer bei der Sendung zu halten. Dass ihm das auf dem Mitternachtsplatz nicht noch einmal gelingen wird, ist ihm bewusst: „Ich habe im Vorfeld der Chefredaktion ausführlich versucht zu erklären, was das Besondere am Stahlwerk ist und warum die Sendung meiner Einschätzung nach nachts nicht funktionieren wird. Nach der ersten Mitternachtssendung war mir klar, dass es so nicht mehr lange weitergeht. Es fühlte sich einfach nicht richtig an“, reflektiert Jakob Kranz heute seine Bedenken. Aber das lässt er sich am 2. Februar 2017 während der Live-Sendung nicht anmerken. Gewohnt ruhig und sachlich zieht er die letzte Stahlwerk-Sendung mit ihm als Moderatoren am Donnerstagabend durch. In scheinbar beiläufigen Kommentaren wird deutlich, wie schwer ihm das fällt. Er schließt mit einer Live-Version von Neil Youngs „My my, hey hey (Out of the blue)“:
„My my, hey hey,
Rock and Roll is here to stay
Hey hey, my my,
Rock and Roll can never die,
There is more to the picture
Than meets the eye
Hey hey, my my
Rock and Roll can never die
Hey hey, my my
Rock and Roll can never die“
Doch nicht alle Metalheads bleiben so ruhig wie Jakob Kranz: Direkt nach Bekanntwerden der Änderungen im Sendeablauf am Tag zuvor entschließt sich Peter Seipke, der in der Szene ebenfalls kein unbeschriebenes Blatt ist (s. Interview S. 28), eine Online-Petition zu errichten und 5000 Unterschriften für den Erhalt des Sendeplatzes von Stahlwerk mit Jakob Kranz zu sammeln. Peter erklärt seine Motivation heute so: „[Uns war schnell klar,] dass das das Ende für die Sendung Stahlwerk in seiner bekannten und lieb gewonnen Art bedeuten könnte. Zu dieser Sendezeit wäre ein ‚Live‘-Hören der Sendung den meisten [Hörerinnen und Hörern] schlicht nicht mehr möglich gewesen, von Gästen im Studio mal abgesehen. Ich ging davon aus, dass die Sendung als solche ‚sterben‘ wird.“ Das kann er nicht hinnehmen. Er aktiviert sein Kontakte und macht bei Facebook alle auf diese Ungerechtigkeit aufmerksam.
9. Februar 2017: Die erste Stahlwerk-Sendung mit Jakob Kranz um 0 Uhr
„But I tell you this, man!
I tell you this!
I don’t know what’s gonna happen, man
but I wanna have my kicks before the whole shit house goes up in flames alright“
Mit diesem Zitat der großen The Doors und dem Iron-Maiden-Klassiker „Two minutes to midnight“ eröffnet Jakob Kranz bedeutungsschwanger die erste Stahlwerk Metal-Sendung auf dem Mitternachtsplatz. Wobei: Den Namen Stahlwerk Metal benutzt er On Air nicht. Immerhin steckt schon so viel „Metal“ im Wort „Stahlwerk“, dass es diesen Zusatz nicht braucht. Geboren aus der DDR-Radiosendung Tendenz Hard bis Heavy auf DT 64, wechselt die metallastige Radiosendung Anfang der Neunziger den Namen zu Stahlwerk. Eine Handvoll Moderatoren begleiteten diesen Prozess. Unter anderem auch Aditya Sharma, der heutige Musikchef bei Radio Fritz. Er war für sieben Jahre die Stimme der Sendung. Umso bedauerlicher, dass er diese Perle der Radiolandschaft in die Dunkelheit der Nacht verbannt. Aditya Sharma begründet die Überlegung des Jugendsenders Fritz aktuell wie folgt: „Fritz nimmt in regelmäßigen Abständen eine Bestandsaufnahme dazu vor, ob unsere Musikspezialsendungen für die Bedürfnisse unserer Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen passend aufgestellt sind. Nach einer solchen Bestandsaufnahme entschieden wir im vergangenen Jahr, bei der nächsten und sehr umfassenden Reform ein neues Rockformat einzuführen. Bei Fritz gab es bis dahin zwischen einem Indie-Elektro- und einem Metal-Angebot keine Rocksendung. Es war nicht möglich, sowohl eine Rock- als auch eine Metal-Sendung um 20 Uhr anzubieten. Deshalb musste als Kompromiss der Sendeplatz des Metals verschoben werden. Wir haben uns dazu entschlossen, die ‚härteren Gitarren‘ künftig am Donnerstagabend in den Mittelpunkt zu stellen. Die Marke Stahlwerk soll als erweiterte Dachmarke sowohl den Rock als auch den Metal bedienen. Die Entscheidung, den Sendeplatz zu verschieben, basierte also im Kern auf der Entscheidung, eine zusätzliche Rocksendung einzuführen.“
Dass das auf Kosten der namensgebenden Metal-Sendung Stahlwerk geschehen würde, war bewusst kalkuliert. Also lässt sich Jakob Kranz scherzhaft zu Beginn der Sendung wecken, um nun im Nightflight sein Ding durchzuziehen. Er will, wie er es während der vergangenen 16 Jahren getan hat, weiterhin Studiogäste einladen, Verlosungen machen, Konzerttermine ankündigen, neue Musik spielen und alte Hits abfeiern. Ganz nach dem Songmotto der Band Midnight: „You can’t stop steel!“
Stahlwerk Petitionsfoto © Peter Seipke - popper-fotografie
20. Februar 2017: Gesprächsangebot von rbb an Petitionsmacher
Radio Fritz bezieht Stellung auf der Petitionsseite. Man könne die Enttäuschung verstehen, heißt es in der Erklärung, die auch auf der Facebookseite des Stahlwerks veröffentlicht wird. Aber es sei nun mal der Auftrag eines jungen Senders, aktuelle Entwicklungen der Musiklandschaft adäquat abzubilden. Eine verbale Ohrfeige für die regionale Metal-Szene. Es gibt ein Angebot zum Gespräch zwischen Peter Seipke, den anderen Petitionsmachern und dem rbb. Nach einiger Überlegung lehnen Peter Seipke und Co. ab. Sie befürchten, dass es nicht zu einem Gespräch kommen würde, sondern der Sender nur die gleichen Argumente noch einmal vorbringen wollte. Sie wollten sich die lauen Begründungen nicht auch noch persönlich ins Gesicht drücken lassen, legen sie auf der Petitionsseite offen.
28. Februar 2017: Bekanntgabe des Wechsels von Moderator Jakob Kranz zu StarFM mit der Heavy Hour/ Ende der Petition
Die Bombe explodiert: Jakob Kranz verlässt Radio Fritz. Zukünftig wird er den privaten Berliner und Nürnberger Rocksender StarFM mit seiner Stimme verschönern. Seine neue Metal-Sendung Heavy Hour wird donnerstags von 20:45 bis 22:45 Uhr laufen. Große Entzückung macht sich in der Szene breit. Natürlich haben alle Beobachter gehofft, dass sich eine Lösung mit dem angestammten Sender Radio Fritz zu Gunsten der Metal-Gemeinde finden lässt. Aber mit dieser Wendung hat wohl kaum jemand gerechnet, geschweige denn zu hoffen gewagt. Gleichzeitig beendet auch die Petition ihre Unterschriftensammlung: 4415 Unterschriften sind es am Ende. Über 400 Kommentaren wurden unter der Petition hinterlassen. Alle beschreiben in emotionalen und rührenden Worten, wie Stahlwerk einen Großteil der regionalen Szene mit dem Metal sozialisiert hat. Die Meldungen reichen bis in die lokale Promi-Riege. Sogar Bela B., Schlagzeuger von Die Ärzte, oder In Extremo ergreifen zwischenzeitlich Partei für Stahlwerk und weisen auf die Petition hin. Peter Seipke ist zufrieden mit dem Ergebnis, auch wenn das numerische Ziel nicht erreicht wird: „Ich hatte ein gutes Gefühl, dass die Szene das aufnimmt und Stärke beweisen wird, genau weiß man so was vorher natürlich nie. Ob es am Ende nun 4500 oder 500 Stimmen sind, ist wirklich egal, wichtig ist, dass die Metal-Szene sich für eine wichtige Institution – und das ist bzw. war das Stahlwerk nun einmal – eingesetzt hat. Aber ja, ich bin zufrieden mit dem Ausgang.“
09. März 2017: Die erste Sendung der Heavy Hour von 20:45 bis 22:45 Uhr auf StarFM
Die erste Sendung im neuen Zuhause beginnt Jakob Kranz nach gewohnter Manier: Er lässt die Musik sprechen und spielt Bolt Throwers Klassiker „For Victory“:
„As fire fill the sky
We once believed in life
Now time to die
… For Victory
Now in deaths glory
Mans final destiny
The final price to pay
… For Victory“
In der Sendung folgt auch ein Interview Martin van Drunen, der niederländischen Death-Metal-Ikone und ehemaligen Sänger von Bolt Thrower. Jakob Kranz und er sprechen gelöst, der Moderator ist ganz in seinem Element. Er übt sich darin, ab jetzt oft hintereinander den Namen des Radiosenders StarFM zu nennen. Neben der Live-Sendung im Radio gibt es außerdem zwei Wiederholungen auf dem StarFM from Hell-Stream, die freitags und – nostalgische Gefühle erwachen – sonntags laufen. Jakob Kranz sieht keinen Anlass, den Senderwechsel als Konzeptwechsel zu verstehen: „Die Sendung läuft weiter wie bisher. Zwei Stunden handverlesener Metal, es gibt Live-Gäste im Studio, die Hörer können direkt an der Sendung teilhaben. Die größte Veränderung ist, dass StarFM eine andere Reichweite hat. Die Sendung ist nicht nur in Berlin und Brandenburg, sondern zusätzlich auch in Bayern über UKW zu empfangen. Dazu kommt das Angebot der Live-Sendung und der Wiederholung per Stream oder App. Unterm Strich ist die Reichweite der Sendung bundesweit größer geworden.“ Eine Eingewöhnungsphase in das neue Studio habe Jakob Kranz nicht gebraucht, am Ende seien Radiostudios wie Fahrräder, verrät er auf Anfrage. Er sei herzlich von den neuen Kolleginnen und Kollegen aufgenommen worden und auch die Resonanz der Hörerinnen und Hörer ist positiv. Alle sind froh, dass es mit Tendenz Hard bis Heavy, also Stahlwerk, also der Heavy Hour, weitergeht.
Peter Seipke findet nur warme Worte für Jakob Kranz: „Ihm wünsche ich, dass er sich in seiner neuen Radiostation wohlfühlt, dort gut aufgenommen wird, dass er die Sendung so gestalten kann, wie er sich das vorstellt, ganz in der Tradition der legendären ursprünglichen Stahlwerk-Sendereihe.“ Die Sendung auf Radio Fritz kommentiert der Petitionsmacher resigniert: „Die Enttäuschung sitzt sehr tief, echte Enttäuschung über so viel Ignoranz und Scheinheiligkeit. Es ist nun so, dass ich mit dem neuen Sendekonzept nichts anfangen kann, ich meine damit in erster Linie das jetzige Stahlwerk. Mir gefällt weder Ausrichtung noch Moderation, aber das ist lediglich mein Geschmack. Ich bin mit der Heavy Hour sehr zufrieden – klar, bis auf die teilweise komische Werbung. Von daher habe ich keine Wünsche mehr an Fritz, zumal unsere Erfahrung gezeigt hat, dass es dem Sender schnuppe ist, was die Hörerinnen und Hörer wollen.“
Was passiert auf Radio Fritz mit dem Stahlwerk?
Die
Marke Stahlwerk ist weiterhin unterteilt in die Bereiche
„Rock“ und „Metal“. Für eine Übergangszeit hatte Moderator
Jan Schwarzkamp die Mammutaufgabe übernommen, beide Sendungen zu
fahren und so vier Stunden lang die Nacht von Donnerstag auf Freitag
zu gestalten. Ende März folgt dann die nächste Änderung: Toby
Schaper, langjähriger Visions-Redakteur, übernimmt die
Mitternachtsschicht und moderiert ab jetzt Stahlwerk Metal: Er
ist positiv gestimmt und freut sich auf die Aufgabe: „Es fühlt
sich super an, sich beruflich mit Musik zu beschäftigen, die einem
wirklich am Herzen liegt, und darüber zu erzählen, ohne dabei
gesehen zu werden. Natürlich ist es eine große Bürde, die Sendung
von Jakob Kranz zu übernehmen, der das Stahlwerk viele Jahre
extrem souverän moderiert hat, aber ich taste mich da langsam ran.“
Bei ihm gibt es bislang keine Live-Gäste, die Sendung wird von Musik
gepaart mit knackigen Anekdoten gestaltet. Fritz-Musikchef Aditya
Sharma gibt sich auf Nachfrage ebenfalls zuversichtlich: „Wir
möchten das Stahlwerk zu einer Sendung etablieren, in der
alle härteren Musikrichtungen vertreten sind, nicht nur der Metal.
So war die Sendung ursprünglich, vor mehr als 20 Jahren, sogar mal
konzipiert. Und so wurde sie von den unterschiedlichen Moderatoren
auch präsentiert. Dass die Sendung in den letzten Jahren nahezu
ausschließlich Metal und angrenzende Gattungen gespielt hat, lag
daran, dass der Moderator Jakob Kranz – eine Koryphäe in der Szene
– der Sendung ein sehr klares Metal-Profil verliehen hat. Nun
möchten wir aber auch weiteren Stilen des Rock eine Heimat geben und
freuen uns auf Stahlwerk-Rock mit Jan Schwarzkamp und
Stahlwerk-Metal mit Toby Schaper.“
Letztgenannter freut sich auf die Dinge, die da kommen: „Es erwartet die Hörerinnen und Hörer weiterhin ein Querschnitt durch alle Spielarten des Heavy Metal. Ich möchte eine Sendung machen, die auch von krassen stilistischen Sprüngen lebt, in der durchaus ein Black-Metal-Song nach einem AOR-Song [Adult-Oriented-Rock, eher klassisch ausgerichteter Rock, Anm. der Verfasserin] laufen kann. Der Schwerpunkt liegt nach wie vor auf Neuveröffentlichungen, durchsetzt mit Klassikern, wenn es dazu einen inhaltlichen oder aktuellen Bezug gibt. Ich bin kein besonders großer Fan von modernem Power Metal und Metalcore, aber auch das wird in der Sendung repräsentiert.“
Und was plant Jakob Kranz in Zukunft für die Heavy Hour?
Jakob Kranz antwortet auf die Frage, ob er das 20-jährige Jubiläum von StarFM in diesem Jahr als Neuer mitfeiern werde: „Na klar. Allerdings wird der Blick zurück nur kurz sein. Mein Ziel ist es, die Sendung weiterhin jede Woche auf hohem Niveau und mit spannenden Live-Gästen zu präsentieren. Denn auch wenn es mittlerweile mehrere Metal-Sendungen im Radio gibt, gibt es einen Unterschied zwischen einer aufgezeichneten Playliste und einer Live-Show, in der stilistisch und inhaltlich alles Mögliche passieren kann. Ich bin vielleicht altmodisch, aber ich glaube fest daran, dass auch in Zeiten von on-demand-Streaming und Hosentaschen-Internet eine live moderierte Musiksendung eine echte Alternative zum digitalen Rauschen ist und genau deswegen eine Zukunft hat. Den Beweis dafür möchte ich jede Woche aufs Neue abliefern.“
Die Stahlwerk-Ära ist also nicht zu Ende, Stahlwerk lebt weiter: In der Person des sympathischen und authentischen Moderators Jakob Kranz mit seinem Format Heavy Hour auf dem Rocksender StarFM. Und unter dem Namen Stahlwerk mit den beiden Moderatoren Jan Schwarzkamp und Toby Schaper auf dem Jugendsender Radio Fritz. Damit kann man sogar behaupten, dass es für die Metal-Szene in Berlin und Brandenburg ein breiteres Angebot gibt, dessen sie sich im Radio erfreuen kann. Auch wenn der Weg dorthin für alle Beteiligten wehtat. Vielleicht ist es eine Chance, die es zu nutzen gilt: Den Metal als das zu feiern, was er ist: Metal!
www.facebook.com/STARFMHeavyHour
www.fritz.de/programm/sendungen/sendungen/stahlwerk.html
Stahlwerk/Heavy Hour Logos © Jakob Kranz/Star FM
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